Nachlese – Virtuelle interaktive Experten-Patienten-Veranstaltung:

RDS-Patienten fragen – RDS-Experten antworten

An unserer diesjährigen virtuellen Experten-Patienten-Veranstaltung zum Schwerpunktthema „Diagnose Reizdarm – und nun, was tun? Welche Bedürfnisse haben RDS-Patienten?“ waren mehr als 300 Teilnehmer dabei. Sie nutzen die Gelegenheit, um mit den drei Reizdarmexperten PD Dr. med. Viola Andresen,  Hamburg, Prof. Dr. med. Johann Ockenga, Bremen Mitte und Prof. Dr. med. Andreas Stengel, Tübingen, live ihre persönlichen Fragen zu besprechen (oder einfach interessiert zuzuhören). Auch die Reizdarm-Influencerin Kiki war wieder dabei und ermutigte die Teilnehmergleich zu Beginn offen und ehrlich über ihre Probleme und Erfahrungen zu sprechen.

Die Suche nach dem richtigen Arzt

Eines der häufigsten Probleme der Teilnehmer war, einen Arzt oder eine Klinik für die Reizdarm-Therapie zu finden. Viele Betroffene berichten von einer jahrelangen „Odyssee von Therapeut zu Therapeut“, bis endlich eine adäquate Behandlung möglich war. Die Reizdarmselbsthilfe (RDSH) e.V. unterstützt ihre Mitglieder bei der Suche nach Reizdarm-Spezialisten in ihrer Region. Sie verfügt über eine bundesweite Datenbank von Spezialisten (Ärzte/Kliniken) mit unterschiedlichen Behandlungsmethoden. Jedes Mitglied erhält nach seiner Registrierung neben weiteren Informationen auch eine Liste mit Spezialisten aus seiner Region. Spezial-Kliniken für Reizdarm gibt es außerdem im Internet unter https://klinikradar.de/reizdarm/kliniken/

Da aufgrund der hohen Teilnehmerzahl nicht alle Fragen während der Veranstaltung besprochen werden konnten, haben die Experten danach noch häufige Fragen aus dem Chat schriftlich beantwortet:

PD Dr. med. Viola Andresen

Sind Probiotika bei Reizdarm sinnvoll? Wie findet man die richtigen Probiotika für seine individuellen Probleme?

Probiotika enthalten lebensfähige Mikroorganismen, wie zum Beispiel Milchsäurebakterien und Hefen. In der aktuellen Reizdarm-Leitlinie, einer Therapie-Empfehlung für Ärzte, wird ihr Einsatz inzwischen befürwortet. Die meisten Probiotika werden als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben. Verschiedene probiotische Stämme haben unterschiedliche Eigenschaften, aber es lässt sich im Einzelfall nicht gut vorhersagen, welcher Stamm individuell am besten geeignet wäre, welcher Patient davon überhaupt profitiert und in welchem Ausmaß sich seine/ihre Beschwerden bessern. In der Leitlinie sind Beispiele für probiotische Stämme genannt, die in klinischen Studien untersucht wurden und positive Effekte beim Reizdarm zeigten. Es ist also in der Regel sinnvoll, Probiotika im Rahmen einer Reizdarm- Behandlung versuchsweise einzusetzen. Wenn schwere Allgemeinerkrankungen oder Entzündungen vorliegen, sollte die Anwendung jedoch vorher mit dem Arzt beraten werden.

Welche Tipps gibt es für Situationen, in denen keine Toilette zur Verfügung steht? Wie lassen sich Ängste vermeiden?

Grundsätzlich kann die Angst vor einem ungewollten Stuhlabgang zu erhöhter Darmaktivität führen und diesen somit auslösen. Versuchen Sie daher Panikattacken zu vermeiden, in dem Sie sich bewusst ablenken, z.B. durch ein Hörbuch oder Telefonat. Mit Verhaltenstherapeuten können Sie gezielt trainieren, Ängste in solchen Situationen abzubauen. Einige Betroffenen setzen vorbeugend „Durchfallstopper“ ein. Diese  können helfen, in brenzligen Situationen Angst und Stress abzubauen. Auch dauerhafte Anwendungen von Durchfall-Stoppern können sinnvoll sein, sollten aber vorab mit Ihrem Arzt besprochen werden.  Bei langen Autofahrten kann eine Camping-Toilette dazu beitragen, jederzeit auf Toilette zu können.

Kann man bei RDS einen Euroschlüssel bekommen? Falls ja, wo und wie?

Mit einem Euro-WC-Schlüssel lassen sich öffentliche barrierefreie Toiletten öffnen, z.B. auf Autobahn-Raststätten, Bahnhöfen, in Fußgängerzonen oder Museen. Er kann auch von Patienten mit chronischen Darmerkrankungen nach Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung beim Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e.V. für 26 € oder beim „Erfinder“ CBF, dem Club Behinderter und ihrer Freunde in Darmstadt, bestellt werden. https://www.cbf-da.de/euroschluessel.html, https://shop.bsk-ev.org/EURO-WC-Schluessel-mit-weissem-Schluesselband.

Ein weiterer Tipp: Mit der Toilettenfinder-App Toiletten Scout für Smartphones können Sie schnell und einfach Toiletten in Ihrer Umgebung finden.

Prof. Dr. med. Andreas Stengel
© Universitätsklinikum Tübingen, Foto: Beate Armbruster (Portrait: Prof. Andreas Stengel)

Meine Diagnose liegt schon viele Jahre zurück. Gibt es inzwischen neue Tests, die zu empfehlen sind? Wie lässt sich ein Leaky Gut feststellen?

Ein neue Untersuchungsmethode, die bisher aber nur an wenigen Zentren in Deutschland durchgeführt wird, ist die sogenannte „konfokale Laserendomikroskopie“ (KLE). Damit lässt sich die Funktion der Darmbarriere beurteilen. Dies ist aber aktuell als experimentell einzustufen und Studien vorbehalten. Eine geschwächte Darmbarriere und damit eine erhöhte Durchlässigkeit des Darms (auch „Leaky Gut“ genannt) wird heute im biopsychosozialen Gesamtkontext als ein Krankheitsfaktor von vielen beim Reizdarmsyndrom genannt.

Warum sind meine Beschwerden abends oft besser? Welche Medikamente sind bei welchen Symptomen (Durchfall, Verstopfung, Blähungen, Krämpfe) am besten geeignet? Welche Schmerzmittel sind zu empfehlen?

Die Beschwerden und auch ihre Verteilung über den Tag sind individuell sehr verschieden. Die Auswahl der Medikamente richtet sich daher in erster Linie nach den jeweils vorherrschenden Beschwerden. Empfehlenswert sind Kombinationsarzneimittel, die mehrere Beschwerden gleichzeitig lindern, wie z.B. pflanzliche Arzneimittel mit Myrrhe, die gegen Durchfall, Krämpfe und Blähungen zum Einsatz kommen können. Bei Krämpfen können auch das Einreiben mit Kümmelöl oder feuchtwarme Leibauflagen mit Kümmel- oder Melissenöl hilfreich sein. Schleimstoffe wie Flohsamen und Weizenkleie werden bei Durchfall oder Verstopfung eingesetzt. Sie können im Darm Flüssigkeit binden und so die Verdauung regulieren. Bei Schmerzen eigenen sich krampflösende Mittel, die die Darmmuskulatur entspannen. Klassische Schmerzmittel wie ASS, Paracetamol oder Ibuprofen sollten nicht verwendet werden.

Ist bei Reizdarm eine Darmhypnose zu empfehlen?

Ja, sie wird sogar in der Leitlinie, einer Therapie-Empfehlung für Ärzte, bei Reizdarm empfohlen. Behandelt wird dabei der sonst normale Informationsstrom der Nervenbahnen zwischen Verdauungsorganen und Gehirn (sog. „Darm-Hirn-Achse“) der bei den Betroffenen gestört sein kann. Die Darmhypnose kann die Kommunikation zwischen dem Darm und dem Gehirn verbessern und so die Beschwerden dauerhaft lindern. Außerdem kann sie dazu beitragen, die Wirkung anderer Behandlungsmaßnahmen wie Medikamente oder Ernährungsumstellung zu verstärken. Die Darmhypnose kann unter Anleitung eines Therapeuten mit einer Hypnose-Qualifikation oder auch zu Hause mit CDs oder via Audio-Download angewendet werden.

Prof. Dr. med. Johann Ockenga
© Klinikum Bremen-Mitte (Portrait Prof. Dr. med. Johann Ockenga)

Was gehört zu einer umfassenden Reizdarm-Diagnostik? Welche Intoleranzen sollte man testen lassen?

Diese Diagnose erfolgt nach dem Ausschlussprinzip, das heißt alle anderen Magen-Darm-Erkrankungen, die ebenfalls für die Beschwerden verantwortlich sein könnten, werden durch geeignete Verfahren ausgeschlossen. Dazu gehören beispielsweise Blut- und Stuhluntersuchungen, Ultraschall, eine Darmspiegelung, Tests auf Laktose-, Fructose-, Sorbit- oder Gluten-Unverträglichkeit oder Nahrungsmittelallergien und zum Ausschluss einer bakteriellen Fehlbesiedlung des Darms (SIBO).

Wegen meiner ständigen Durchfälle habe ich stark abgenommen und leide unter verschiedenen Mangelerscheinungen. Was kann ich tun?

Probieren Sie aus, welche der gängigen Tipps zur Gewichtszunahme für Sie persönlich funktionieren. Da jeder Betroffene andere Beschwerden hat und auch andere Lebensmittel gut oder schlecht verträgt, ist hier Geduld erforderlich. Bevorzugen Sie viele kleine Mahlzeiten (6 – 8 pro Tag) statt drei große, denn diese können leichter verdaut werden und entlasten den Darm. Verteilen Sie Ihre kalorienreichen Mahlzeiten möglichst gleichmäßig über den Tag. Einige Betroffene profitieren hierbei auch von der sogenannten LOW FODMAP-Ernährung: Dabei wird vorübergehend auf schwer verdauliche, kurzkettige Kohlenhydrate wie Fructose, Lactose oder Zuckeralkohole verzichtet bzw. diese Inhaltsstoffe werden im Speiseplan deutlich reduziert. Nach ca. 6 – 8 Wochen werden einzelne FODMAP-haltige Lebensmittel nach und nach zugeführt und beobachtet, welche dieser Lebensmittel vertragen werden. So kann ein individueller Speise- und Lebensmittelplan für Reizdarm-Betroffene erstellt werden, die gut vertragen werden. So lassen sich die Durchfälle reduzieren und die Gewichtszunahme erleichtern.

Kann eine Stuhltransfer auch bei Reizdarm helfen?

Beim Stuhltransfer werden aufbereitete Stuhl-Bestandteile eines Spenders z.B. mittel Endoskop in den Darm des Empfängers transferiert, um so die Darmmikroorganismen zu übertragen. Beim Reizdarmsyndrom gibt es derzeit noch widersprüchliche Studienergebnisse, ob und welche Patienten von einem Stuhltransfer profitieren. Bei Colitis ulcerosa gibt es Studien, die zeigen, dass bei 20-30 % der Patienten eine Besserung der Symptome erreicht werden kann. Bisher ist der Stuhltransfer nur bei einer (wiederkehrenden) Clostridieninfektion wissenschaftlich anerkannt. Bei diesen Patient:innen ist der Darm nach einer Antibiotikatherapie nicht mehr in der Lage, die eigene Mikrobiota wieder ausreichend aufzubauen.