Virtuelle interaktive Experten-Patienten-Veranstaltung:

Am 18. Oktober fand unsere diesjährige virtuelle Experten-Patienten-Veranstaltung zum Schwerpunktthema „Die richtige Ernährung bei Reizdarm (RDS) & die wichtige Rolle der Darmbarriere – worauf sollten Patienten achten?“ statt.  Mehr als 150 Teilnehmer nutzten die Gelegenheit, live dabei zu sein. Und das nicht nur, um viele Fragen mit den drei Reizdarmexperten Prof. Dr. med. Peter Layer (Direktor Gastroenterologie, Israeltisches Krankenhaus, Hamburg und Koordinator der neuen ärztlichen Reizdarm-Leitlinie), Eva Köhler (Ökotrophologin, klinische RDS/Darm-Ernährungsberaterin, Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde, Sozialstiftung Bamberg) und Prof. Dr. med. Timo Rath (Medizinische Klinik Gastroenterologie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg)  konstruktiv zu diskutieren – sondern auch, um mit der Reizdarm-Influencerin Kiki über ihre Probleme und Erfahrungen im Umgang mit der weit verbreiteten Krankheit zu sprechen. Dabei waren sich alle Teilnehmer in der wichtigsten Hauptbotschaft für alle RDS-Patienten einig:

„Traut Euch, offen und offensiv über Eure Darmbeschwerden zu sprechen – und zwar sowohl im privaten Umfeld als auch auf der Arbeit.“

Denn mit dieser Art der Kommunikation sinkt häufig bereits der Stresslevel, weil einen die Menschen dauernd „komisch anschauen“, warum man denn schon wieder auf Toilette muss – ganz im Gegenteil: Das Umfeld reagiert im Anschluss an das „RDS-Outing“ meist sehr verständnisvoll, was den psychischen Druck deutlich vermindert. Eine weitere zentrale Botschaft für alle Patienten, die sich wie ein roter Faden durch die Veranstaltung zog, war:

„Sowohl bei der RDS-Therapie als auch RDS-Ernährung führt der individuell-fokussierte Ansatz zum Erfolg. Oder anders: Wer heilt, hat Recht. Bei der Therapie kommt noch hinzu: Wenn man etwas weglässt und nichts vermisst, dann kann man es auch weiterhin weglassen.“

Im Umkehrschluss bedeutet das konkret: Es gibt nicht die eine „Goldstandardtherapie“ oder die „beste Reizdarmdiät“ – Ärzte, Ernährungsberater und Patienten müssen stets gemeinsam schauen, was im Einzelfall hilft und was nicht.

Neben diesen beiden zentralen Botschaften wurden zahlreiche Fragen zu Therapien der RDS-Leitsymptome Durchfall, Blähungen, Verstopfung und Krämpfe sowie zu RDS-Mitauslösern wie beispielsweise der durchlässigen Darmbarriere – auch bekannt als „Leaky Gut“ – gestellt und ausführlich besprochen. 

Zu diesem, derzeit sehr spannenden Forschungsthema wurde passenderweise kurz vor unserer Beratungsaktion ein sehens- und lesenswerter Beitrag im Bayerischen Rundfunk BR veröffentlicht, in dem auch gleich zwei „unserer“ Experten (Köhler & Rath) zu Wort kamen:  Leaky-Gut-Syndrom – eine Ursache für Reizdarm. Unser Tipp: Anschauen lohnt sich!

Was wir noch sehr schön fanden: Während des Online-Events hat Kiki spontan auf Facebook eine neue à Reizdarm Selbsthilfegruppe gegründet – einfach, weil das Interesse der Teilnehmer am weiteren Dialog miteinander auch über die Beratungsaktion hinaus so groß war. Diese Gruppe steht natürlich weiteren RDS-Patienten offen, meldet Euch gerne jederzeit an, wenn Ihr mögt!

Aufgrund der erfreulich hohen Teilnehmerzahl konnten erwartungsgemäß nicht alle Fragen im persönlichen Dialog besprochen werden. Daher haben wir einige wichtige Fragen von allgemeiner Relevanz für die RDS-Community aus dem Chat nachfolgend in schriftlicher Form von den Experten beantworten lassen:

Wie erhält man die endgültige Diagnose RDS? Vom Hausarzt oder muss man zu einem speziellen Arzt?

Prof. Layer: In der Regel wird man bei unklaren Darm-Symptomen vom Hausarzt zum Facharzt, also dem Gastroenterologen überwiesen, der dann die Diagnose RDS stellt. Diese Diagnose erfolgt nach dem Ausschlussprinzip. Soweit möglich, sollten alle anderen Magen-Darm-Erkrankungen, die ebenfalls für die Beschwerden verantwortlich sein könnten, durch geeignete Verfahren ausgeschlossen werden. Dazu gehören beispielsweise Ultraschall, Blut- und Stuhluntersuchungen, eine Darmspiegelung, Tests auf Laktose oder Sorbit-Unverträglichkeit und zum Ausschluss einer bakteriellen Fehlbesiedlung des Darms. Nach erfolgter Diagnose wird der Patient zum Hausarzt zurücküberwiesen, um die weitere Therapie im Alltag zu besprechen und umzusetzen.

Warum ist es eigentlich so schwer, bei der heutigen modernen Medizin eine eindeutige Diagnose bei RDS-Beschwerden im Margen-Darm-Bereich zu stellen? Ich lief wirklich von einem Arzt zum anderen und alles, was ich hörte, war „könnte – müsste – sollte.“

Prof. Layer: Diese Erfahrung ist bedauerlicherweise kein Einzelfall. Viele RDS-Patienten haben eine Odyssee von Arzt zu Arzt hinter sich, bis sie den passenden Therapeuten gefunden haben.  Hauptproblem ist dabei, dass es bisher kein Nachweisverfahren für das RDS (d.h. keinen sog. „Biomarker“) gibt, sondern dass zur Diagnosesicherung meist ein beträchtlicher Aufwand erforderlich ist – wie oben erläutert. Diesen können sehr viele Praxen weder personell noch technisch leisten. Zur Frage, ob eine Praxis / Klinik auf RDS spezialisiert ist, ist für neue Patienten meist der beste Weg, auf die Empfehlungen anderer Betroffener zurückzugreifen. Diese können (müssen aber leider nicht immer!) sehr hilfreich sein. Generell treffsicherer ist die Suche nach einem RDS-Spezialisten durch Austausch in RDS-Gruppen oder die Anfrage bei der Dt. Reizdarmselbsthilfe. In der Regel besonders wertvoll ist die Recherche nach wissenschaftlichen Publikationen eines Arztes zu diesen Themen, vor allem auch nach seiner Mitarbeit an nationalen oder internationalen Behandlungsleitlinien.

Bei vielen treten Reizdarm-Symptome vermehrt in der kalten/dunklen Jahreszeit auf, bei manchen häufiger am Morgen, bei anderen eher am Abend. Gibt es dafür Erklärungen?

Prof. Layer: Dafür gibt es im Einzelfall keine verlässlichen wissenschaftlichen Erklärungen; ein typischer „RDS-Winterschub“ im engeren Sinne ist in der Literatur nicht beschrieben. Vielmehr zeigt gerade die Vielfalt der unterschiedlichen Zeiten und Symptomstärken auch hier eindeutig, wie individuell das RDS auftritt.

Ist ein Reizdarm eigentlich heilbar? Kann ein Reizdarm wieder ganz verschwinden?

Prof. Layer: Leider müssen wir dazu aktuell mit „Jein“ antworten. Denn bislang liegen noch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, dass eine endgültige Heilung des RDS verlässlich und grundsätzlich möglich wäre. Allerdings kann auch ein hartnäckiger Reizdarm im Einzelfall schon einmal „wieder ganz verschwinden“, sowohl spontan als auch, wenn eine gut wirksame Therapie gefunden wird.

In der Mehrzahl der Fälle allerdings bleiben die Beschwerden viele Jahr /Jahrzehnte bestehen. Hier können aber eine auf das Individuum maßgeschneiderte Therapie sowie ggfs. Ernährungsumstellungen entscheidend dazu beitragen, dass die Beschwerden so sehr gelindert werden, dass auch die Lebensqualität deutlich verbessert wird.

Kann extremer Haarausfall mit SIBO (bakterielle Überwucherung und/oder Fehlbesiedlung des Dünndarms), Reizdarm und Unverträglichkeiten zusammenhängen, auch wenn es keinen starken Nährstoffmangel gibt? Wenn ja, welcher Zusammenhang besteht und was kann man dagegen tun?

Prof. Layer: Die Auslöser für Haarausfall können sehr vielfältig sein, sodass sich hier keine allgemeine Antwort geben lässt. Ursache können beispielsweise die Gene sein, dann wäre der Haarverlust erblich bedingt. Auch eine Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose), die mit RDS nichts zu tun hat, kommt als Ursache in Frage. Daneben können andere Hormonstörungen, Autoimmunerkrankungen, Medikamente, psychische Gründe und vieles mehr zu vermehrtem Haarausfall führen. Das sollte man daher auf jeden Fall separat untersuchen lassen. Als erster Schritt sollte jedenfalls kein direkter Zusammenhang mit Reizdarm angenommen werden.

Welche pflanzlichen Medikamente empfehlen Sie gegen Reizdarm bzw. Durchfall? Gibt es auch Medikamente, die längerfristig eingenommen werden können und nicht nur akut bei Durchfall?

Prof. Rath:  Hier kommen beispielsweise Blutwurz, Kaffeekohle, Myrrhe oder Heidelbeermuttersaft und Flohsamen in Frage, die allesamt akut und länger eingenommen werden können. Sie wirken dabei unterschiedlich: Myrrhe entkrampft beispielsweise den Darm, besitzt entzündungshemmende und Darmbarriere stabilisierende Eigenschaften.  Kaffeekohle vermindert die Flüssigkeitsbildung im Darm und festigt so den Stuhl – sie hat auch eine große Oberfläche, mit der sie schädliche Stoffe binden  kann. Heidelbeermuttersaft oder getrocknete Heidelbeeren können bei Durchfall helfen, weil sie Gerbstoffe enthalten, die die Darmschleimhaut zusammenziehen und dem Flüssigkeitsausstrom entgegenwirken. Ähnlich wirkt Blutwurz. Flohsamen helfen gegen Durchfall, indem sie überschüssiges Wasser im Darm binden und so den Stuhl formen und festigen. Bei all den vielfältigen Reizdarmbeschwerden mit Durchfall kann es auch sinnvoll sein, Heilpflanzen zu kombinieren. Fragen Sie dazu am besten auch mal Ihren Therapeuten.  

Ich würde gerne einmal meine Darmbesiedelung untersuchen lassen, an wen kann ich mich wenden?

Prof. Rath:  Diese Untersuchungen können Sie beim Hausarzt oder Gastroenterologen anhand einer Stuhlprobe durchführen lassen. Dazu sollte man folgendes wissen: Gerade beim RDS spielt das Mikrobiom, früher sagte man dazu „Darmflora“, eine wichtige Rolle. Denn bei diesen Patienten ist die Bakterienvielfalt im Darm oft signifikant reduziert, was zu vielen Verdauungsbeschwerden führen kann. Nun das große Aber: Die Wissenschaftler haben es noch nicht geschafft, die relevanten, für die Darmgesundheit-verantwortlichen Bakterien exakt zu identifizieren. Ein weiteres Problem sind häufig auch die langen Transportzeiten, wodurch sich die Zusammensetzung der Stuhlprobe stark verändern kann. Das, was dann im Labor „noch “ ankommt, ist oftmals in der Komposition nicht das, was im Darm tatsächlich drin war. Die klinische Aussagekraft dieser „Stuhl-Ökogramme“ ist daher begrenzt.

Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei? Also Depressionen oder Ängste durch das RDS oder das RDS durch Depression oder Ängste?

Prof. Rath: Das kann nur im Einzelfall konkret bestimmt werden, denn beide „Wege“ sind möglich – und sie können sich auch wechselseitig verstärken oder gar gegenseitig auslösen. D.h. wenn RDS zunehmend Stress bereitet und man sich sozial zurückzieht, kann dies zu Angst in der Öffentlichkeit führen – die dann wiederum die RDS-Symptome verstärkt. Durch diese noch stärkeren Beschwerden wiederum wächst nun auch die Angst, rauszugehen. Alles in allem oftmals ein Teufelskreis, also ein sogenannter „circulus vitiosus“, der unbedingt durchbrochen werden sollte – entweder setzt man hier beim RDS an oder mit Psychotherapie.

Haben Sie Erfahrungen zu Stuhltransplantationen beim Reizdarmsyndrom?

Prof. Rath: Der korrekte Begriff ist Stuhltransfer, denn die Mikrobiotia – früher sagte man Darmflora – wird nur übertragen. Bei RDS gehört der Stuhltransfer noch nicht zu den offiziellen Therapiemaßnahmen. Zurzeit gibt es nur eine einzige Erkrankung, bei der das Verfahren wissenschaftlich anerkannt ist und eingesetzt wird – das ist die (wiederkehrende) Clostridieninfektion. Bei diesen Patienten ist der Darm nach einer Antibiotikatherapie nicht mehr in der Lage, die eigene Mikrobiotia wieder ausreichend aufzubauen, daher wird fremder „gesunder“ Stuhl transferiert.

Ich habe seit über 10 Jahren Reizdarm und kann kaum aus dem Haus, weil ich ständig mit Durchfall auf Toilette sitze. Jetzt wurde zusätzlich ein Leaky-Gut diagnostiziert. Was kann/soll ich jetzt machen? Foodmap und ähnliches habe ich schon alles durch, hat aber nicht wirklich etwas gebracht.

Prof. Rath: Am wichtigsten ist und bleibt erstmal die gezielte Behandlung der Beschwerden wie Durchfall, Blähungen oder Krämpfe. Zusätzlich können und sollten dann auch Maßnahmen ergriffen werden, um die Darmbarriere zu stabilisieren. Idealerweise lässt sich mit einer Therapie beides behandeln. Dazu haben sich beispielsweise Arzneimittel mit Myrrhe oder Probiotika bewährt, für die es auch gute Grundlagenstudien gibt. Am besten ausprobieren, was einem wirklich hilft. Man kann auch beide Mittel kombinieren, bei manchen Patienten wirkt die „Kombitherapie“ meist noch besser.

Kann es sein, dass ein Reizdarm durch eine Essstörung entsteht?

Eva Köhler: Je nach Form und Ausprägung der Essstörung können hier Zusammenhänge vermutet werden. Im Bereich der Anorexia nervosa (Magersucht) zeigen Studien, dass sich die Vielfalt der Bakterien im Darm verändern werden kann, aber nicht muss. Eine Veränderung der Darmmikrobiota könnte ein Indiz für eine Entstehung eines Reizdarm sein. Die Studienlage lässt hier noch keine abschließende Aussage zu.

Ist eine vegetarische Ernährung „schlechter“ für den Reizdarm? Empfehlen Sie eher eine Ernährung mit Fleisch?

Eva Köhler: Ernährung und Reizdarm ist ein sehr individuelles Thema, auf das sehr differenziert eingegangen werden muss. Oft haben Patient:innen das Gefühl, Fleisch gut verdauen zu können. Langfristig gesehen sollte das Ziel die pflanzenbasierte Vollwertkost sein – also ein hoher Anteil an Gemüse und vollwertigen Getreideprodukten sowie Hülsenfrüchte. Hier ist es wichtig den Ballaststoffanteil schrittweise und nach individueller Verträglichkeit zu erhöhen. Dies erfolgt am besten mit professioneller Begleitung in Form einer Ernährungsberatung. Beim Thema „Ernährungsberatung“ ist generell darauf zu achten, dass man zu einem „zertifizierten Diätassistenten“ oder „Ernährungswissenschaftler/Ökotrophologen“ geht – denn „Ernährungsberater“ ist kein geschützter Begriff, d.h. jeder kann sich so nennen, auch ohne Qualifikation. Am besten ist der Besuch einer speziellen Ernährungsstation in einer Klinik mit Darmschwerpunkt. Hier ist man auf jeden Fall gut aufgehoben.

Mir wird nach beziehungsweise schon beim Essen von fettigem Essen wie beispielsweise Mürbeteig oder Cremehaltigem wie Sahnekuchen oder Milchschnitte übel. Woran kann dies liegen? Als Ursache ausgeschlossen ist bei mir Laktose-Intoleranz.

Eva Köhler: Auch hier ist keine einfache, individuell gültige Aussage möglich. Wichtig ist abzuklären ob – neben der RDS-Diagnose – noch andere Probleme im Verdauungssystem bestehen. Zum Beispiel eine Schwäche des Pankreas, die so genannte „exokrine Pankreas-Insuffizienz“, kurz EPI. Fettiges Essen – vor allem stark verarbeitete Fette – bereiten unseren Verdauungsorganen oft Schwierigkeiten. Grundsätzlich ist es empfehlenswert, den Konsum dieser Fette zu reduzieren. Dafür sollte man besser Fette aus Leinsamen (Leinöl) und z.B. Walnüssen mit in die Ernährung einbauen. Diese sind reich an Omega-3-Fettsäuren, die entzündungshemmend wirken können.

Mir wurde von Arzt gesagt, dass Präbiotika sinnvoller sind als Probiotika, da Probiotika nicht im Darm ankommen: ist das richtig?

Eva Köhler: Unter Probiotika versteht man Darmbakterien, die man in Form von Pulver, Kapseln oder in Lebensmitteln zugesetzt einnehmen kann. Unter Präbiotika versteht man die Nahrung für diese Mikroben. Nicht alle Probiotika, die wir einnehmen kommen zu 100 % in unserem Darm an und auch Wenn, ist die Frage, ob sie sich in unserem Darm ansiedeln. Mit Präbiotika ernähren und stärken wir die „guten“ Bakterien – schaffen ein Milieu, in dem sich die Bakterien wohl fühlen. Eine Einnahme von Probiotika sollte also immer mit einer präbiotischen Ernährung einhergehen. Es gibt eine Vielzahl von prä- und probiotischen Mitteln auf dem Markt. Auch hier sollte die Therapie in Zusammenarbeit mit einer Ernährungsfachkraft und/oder einem Arzt erfolgen.

Abschließend möchten wir noch auf unsere aktuelle Umfrage für Darmpatienten hinweisen:

„Stetig wiederkehrende Durchfälle: Reizdarm oder doch eine Bauchspeicheldrüsenschwäche? Macht mit unter www.umfrage-reizdarm.de